Fakt ist …

Die Diskussion um Zugangssperren im Internet wird von zwei Lagern dominiert: Auf der einen Seite die Politiker, die die Sperren für sinnvoll und für zwingend erforderlich erachten, auf der anderen Seite die Netzgemeinde, die die Sperren als ungeeignete Mittel und gefährlich für die Meinungsfreiheit hält. Die Argumente sind bekannt, neue Erkenntnisse kommen nur spärlich zu Tage. Um sich selbst eine Meinung zu bilden, sollte man die Fakten kennen.

Positionen

Tenor der Politiker ist, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf, dass er das in Hinblick auf Kinderpornographie jedoch derzeit wäre. Die derzeitigen Gesetze wären nicht ausreichend, um gegen die Verbreitung von Kinderpornographie im Internet vorzugehen. Die Verbreitung derartiger Bilder und Schriften zu verhindern wäre ein wichtiger Schritt, um die dahinter stehende Industrie auszuräuchern. Das neu zu schaffende Gesetz sei für die gewünschten Ziele geeignet und diene ausschließlich dem Schutz der Opfer.

Die Kritiker dagegen werfen ein, dass das Internet mitnichten einen rechtsfreien Raum darstelle. Die derzeitigen Gesetze gelten auch im Internet und müssten nur konsequent verfolgt werden. Es wird angezweifelt, dass die Zugangssperren geeignet sind, die Verbreitung dokumentierten Kindesmissbrauchs zu verhindern und es wird bezweifelt, dass hinter der Verbreitung eine „Industrie“ steht. Das Sperren von Domains sei schon aus technischen Gründen ungeeignet, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Das geplante Gesetz würde über kurz oder lang auch zur Zensur legaler, aber unliebsamer Inhalte eingesetzt.

Fakten

Ist das Internet ein rechtsfreier Raum?

Fakt ist, dass schon vor Jahren auch von Seiten der Politiker erklärt wurde, dass das Internet „kein rechtsfreier Raum“ sei. So findet man beim Bayerisches Staatsministerium des Innern folgende Passage in einer Pressemitteilung von 2001:

„Das Internet ist also kein rechtsfreier Raum. Im Ergebnis ist bereits festzustellen, dass strafrechtlich bedeutsame und jugendgefährdende Inhalte – abgesehen von einer Vielzahl pornografischer Darstellungen – nicht mehr völlig offen im Internet angeboten werden. Sie sind damit auch für den unbedarften Nutzer nicht mehr so einfach zugänglich“, zog Innenminister Dr. Günther Beckstein am 12.11.2001 bei der Tagung zum Thema „Kriminalität im Internet – Strategien zu ihrer Bekämpfung“ eine erste Bilanz der bayerischen Bemühungen.

Das Internet war in seinen Anfangstagen tatsächlich so etwas wie ein rechtsfreier Raum. Nicht, weil das Recht im Internet nicht gegolten hätte, sondern weil es niemanden gab, der ihm Geltung verschafft hätte. Die Pressemitteilung belegt, dass dem spätestens 2001 nicht mehr so war.

Reichen die derzeitigen Gesetze aus?

Fakt ist, dass sexueller Missbrauch strafbar ist. Fakt ist, dass nach § 176 StGB jeglicher sexueller Kontakt einer volljährigen Person mit einem Kind unter 14 Jahren strafbar ist. Fakt ist, dass in § 184b des StGB schon die Ankündigung, kinderpornographische Schriften zugänglich zu machen, unter Strafe gestellt wird. Fakt ist, dass die geplanten Zugangssperren im Internet keine einzige neue Straftat schaffen sollen, sondern dass die Sperren lediglich auf bereits illegale Inhalte angewendet werden sollen.

Die Frage lautet also offensichtlich nicht: „Reichen die Gesetze aus?“, sondern „Können die Gesetze heute umgesetzt werden?“. Noch wichtiger ist dann, ob die Gesetze besser umgesetzt werden, wenn die Zugangssperren etabliert werden dürfen.

Können die Gesetze umgesetzt werden?

Der Arbeitskreis Zensur, der dem neuen Gesetz kritisch gegenübersteht, hat automatisiert 348 Provider angeschrieben, deren Kunden Seiten betreiben, die international auf Filterlisten stehen. Innerhalb von zwölf Stunden haben 250 Provider angegeben, keine strafrechtlich relevanten Daten auf den Servern vorgefunden zu haben. Zehn Provider haben illegale Inhalte vorgefunden und entfernt. Nicht geklärt ist, weshalb diese E-Mails von einer Privatperson verschickt wurden, nicht aber von der Staatsanwaltschaft, die zumindest von einem Teil der Filterlisten ebenfalls Kenntnis hatte.

Fakt ist also, dass die bestehenden Gesetze wesentlich besser umgesetzt werden könnten. Doch wieso werden sie nicht durchgesetzt? Ist die Executive überlastet? Lässt sich dieses Problem durch neue Gesetze lösen oder verdeckt es nur die Symptome, ohne das Problem zu lösen?

Sind Zugangssperren im Internet das geeignete Mittel?

Es ist spekulativ, wie erfolgreich die Umsetzung der Gesetze in der Zukunft sein wird. Fakt ist, dass die geplanten Zugangssperren innerhalb von 30 Sekunden zu umgehen sind – und das ist keine Übertreibung, sondern nachprüfbar. Das geplante Gesetz verhindert keinen dokumentierten Missbrauch, es ermittelt keinen Täter und es schützt die Opfer für weniger als 1 Minute. Wäre es ein Medikament, es bekäme bei derartig geringer Wirkung keine Zulassung. Erst recht nicht, bei den Nebenwirkungen:

Die geplanten Zugangssperren sehen vor, einzelne Domains zu sperren, unter denen illegale Inhalte gefunden wurden. Fakt ist, dass nicht jeder illegale Inhalt alleine auf einer Domain liegt. Domains können Seiten verschiedener Benutzer enthalten, beispielsweise bei Universitäten teilen sich häufig hunderte Benutzer eine einzige Domain. Betreibt man seine Webpage auf einer so gesperrten Seite, wird man gegenüber den Besuchern indirekt als Anbieter von Kinderpornographie beschuldigt. Die geplante Sperrseite wird nach derzeitigem Stand keine Informationen darüber enthalten, dass die eigentlich gewählte Seite lediglich als Kollateralschaden gesperrt wurde und dass dem Betreiber nichts vorzuwerfen ist. Abgesehen von möglichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen für den Betreiber der zu unrecht gesperrten Seiten entspricht dieses Vorgehen wohl kaum dem Grundsatz, lieber einen Schuldigen laufen zu lassen, als einen Unschuldigen zu bestrafen („Im Zweifel für den Angeklagten.“)

Kann die Kinderporno-Industrie augehungert werden?

Schon bei der Frage, ob es überhaupt eine Kinderporne-Industrie gibt, ist die Faktenlage dünn. Fakt ist: Es wird für Missbrauchsdarstellungen Geld verlangt. Fraglich ist, ob das in industriellem Ausmaß geschieht und ob das Geld der Anreiz für den dokumentierten Missbrauch ist. Strafverteidiger Udo Vetter sagt klar, dass dem nicht so ist, Bundesministerin Ursula von der Leyen sieht es anders.

Wenn im Internet für etwas in nennenswertem Umfang Geld fließt, dann ist eins klar: Wohin es fließt. Es gibt bisher keinen Mechanismus, um im Internet Geld anonym weiterzugeben. Bezahlt wird mit Kreditkarte oder über Dienste wie PayPal. In beiden Fällen ist es für Staatsanwälte leicht, den Empfänger des Geldes ausfindig zu machen. Wenn es den bewussten Industriezweig gibt, dann ist er über die Banken leichter auszuhungern, als über den Vertriebskanal.

Sind Zugangssperren die kleinen Schwestern der Zensur?

Die Definitionen von Zensur klaffen weit auseinander. Während die einen Zensur schon beim richterlich verordnetem Verbot eines Textes wittern, sehen sie andere erst bei unkontrolliertem, willkürlichem Wegsperren von Gedankengut.

Fakt ist, dass die geplanten Zugangssperren eine Information der Betroffenen nur „in der Regel“ vorgesehen ist. Es ist nicht vorgesehen, die Inhaber der Domains vor der Sperrung anzuhören. Auf die Beschuldigung folgt ohne Verhandlung oder Verurteilung durch einen Richter die Strafe. Die Zulässigkeit der Sperrung wird nur unregelmäßig und in Stichproben überprüft.

Fakt ist, dass bei den Zugangssperren billigend in Kauf genommen wird, dass legale Inhalte mit gesperrt werden. Fakt ist, dass die Rufe nach einer Ausweitung der Sperren auf andere Bereiche (Urheberrechtsverletzungen, illegales Glücksspiel, Katzenbilder und so weiter) bereits zu vernehmen sind.

Schlussworte

Über 130 000 Personen haben eine Petition an den Bundestags gegen das Gesetzesvorhaben unterzeichnet und damit klargemacht, dass sie die Zugangssperren für ungeeignet halten, um sexuellen Missbrauch zu verhindern.

Die Experten, die bei einer Anhörung des Bundestags zum Thema befragt wurden, haben darauf hingewiesen, dass das Gesetz einen „Strauß verfassungsrechtlicher Probleme“ aufwirft. Probleme, die hoffentlich nicht durch eine Änderung der Verfassung gelöst werden!

Die Bürger wollen das Gesetz nicht. Die Experten raten davon ab. Der Bundestag hat den Entwurf heute verabschiedet. Schade, dass das nicht strafbar ist.